Publikation zu den gleichnamigen Ausstellungen vom 04. – 29.06.2009 im Martin-Gropius-Bau, Berlin und 2010 in Stuttgart
Hrsg. von Klaus Honnef mit Texten von Peter Kümmel, Gerhard Stadelmaier, Klaus Geitel und dem Herausgeber.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2009, ISBN 978-3-7757-2368-8, 352 S. 342 Abbildungen in Duplex, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 30 x 24 cm, € 39,80 (D), SFR 69,--
Hannes Kilians Aufnahme von der durch einen alliierten Luftangriff 1944 beschädigten Kopie der spätgotischen Kreuzigungsgruppe von Hanns Seyffer von 1501 vor der Stuttgarter Leonhardskirche ging um die Welt. Das Original hat den Krieg in einer gemauerten Glocke in der zerstören Stuttgarter Hospitalkirche Überstanden. Kilians „Suche nach Verschütteten“ in den noch rauchenden Trümmern der Stuttgarter Schloss- und Friedrichstrasse aus demselben Jahr erschüttert noch nach über 60 Jahren, ebenso seine Aufnahme von der Identifizierung von Toten in provisorischen Särgen nach einem alliierten Fliegerangriff auf Stuttgart. Als kongenialer Fotograf des Aufstiegs des Stuttgarter Balletts unter der Leitung des britischen Choreografen John Cranko hat Kilian Weltgeltung erlangt. Gleichwohl stand der 1909 in Ludwigshafen am Bodensee geborene und im Schweizer Kreuzlingen ausgebildete Fotograf bisher noch nicht in der ersten Reihe der deutschen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Die von Klaus Honnef zu seinem 100. Geburtstag im Berliner Gropius-Bau kuratierte Ausstellung korrigiert diesen Fehler. Kilian hatte sich nach diversen Stationen unter anderem in Italien, Paris und als zeitweiliger Kriegsberichterstatter im Russlandfeldzug in Stuttgart als freier Fotograf niedergelassen. Er siedelt sich zwischen „neuer Sachlichkeit“ und „neuem Sehen“ an und weiß um die „Unmöglichkeit einer objektiven Wiedergabe dessen, was sicht- und erfahrbar ist“: Seine Bilder von Kriegsopfern und –überlebenden sind „veristisch, rau und von solcher Eindringlichkeit, dass man den widerwärtigen Geruch von verbranntem und zerschmolzenem Menschenfleisch, verwesenden Leichen und in Flammen aufgegangenen Häusern und ihren Einrichtungen förmlich in der Nase zu spüren glaubt“ (Klaus Honnef). Sein Gespür für Bewegung erlaubt es, „die eingeprägte Starre des fotografischen Bildes aufzuheben und es in ein elektromagnetisches Kraftfeld zu verwandeln …Indem er Sekundenbruchteile vor dem eigentlichen Höhepunkt seine Kamera auslöste, vermied er, dass die Bewegung wie in den meisten Bewegungsfotografien alle Dynamik einbüßte. …Mit unvorstellbarer Leichtigkeit schweben Cragun und Madsen vom Stuttgarter Ballett über den Dächern der Stadt und sprechen allen Gesetzen der Schwerkraft Hohn“ (Klaus Honnef). Die Kamera ist zum Arbeitsinstrument geworden, das der eigenen ästhetischen Sichtweise dient. Mit Honnefs Auswahl aus über 500 000 steigt Kilian in die erste Reihe der deutschen Fotografen des 20. Jahrhunderts auf.
(ham)