Aus den frühen Tagen der Republik
Hrsg. und mit einem Text von Petra Giloy-Hirtz
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2009, ISBN 978-3-7757-2543-9, 152 S., 115 Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 30,6 x 24,9 cm, € 35,-- (D), SFR 59,--
Auf dem Stuttgarter Rathausplatz parken ein dunkelroter und ein hellblauer VW-Käfer, ein zitronengelber VW-Bus und diverse andere Autos. Es hat noch Platz. Das Rathaus wurde nach seiner Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg modern, funktional und im Stil der Rasterarchitektur wieder aufgebaut worden. Sein Eingangsbereich wirkt rot hinterlegt. Das Rot wiederholt sich auf dem Ziffernblatt der Rathausuhr, an den Stahlsäulen, die die Fensterfront vor dem großen Saal strukturieren, im Ring und Querstrich des Halteverbotsschilds und auf dem Dach des Wartehäuschens am Rande des Platzes. Die Szene mutet nicht nur auf Grund des zeitlichen Abstands, sondern auch durch das ungewohnte Rot auf dem in den Nachkriegsjahren überwiegend schwarz und heute grün dominierten Rathaus fremd an. In einer Aufnahme des großzügigen Etagenflurs des Düsseldorfer Hotels Excelsior Ecke Kaiser- Kapellenstraße/Am Messegelände 70 fallen neben den auf dem Steinfußboden ausgelegten schweren handwerklich geknüpften Teppichen, den weinrot marmorierten Wänden und der mit schwarzen Rautenmustern kunsthandwerklich verzierten Säule das Zitronengelb an deren Fuß auf, das sich in zwei Vasen, einem Bilderrahmen und einer Wandbespannung fortsetzt. Beide Aufnahmen stammen von Originalpostkarten aus den Nachkriegsjahren und sind von dem Schauspieler und Fotokünstler Stefan Hunstein offensichtlich bearbeitet worden. Er hat sie wie auch die weiteren Aufnahmen seiner Serie „Schön war’s“ auf Flohmärkten, bei Haushaltsauflösungen und in privaten Archiven aufgestöbert, abfotografiert, koloriert und dabei einem „zweiten Blick“ unterzogen. Man fragt sich, ob dieser zweite Blick nicht zu schön färbt und ob die 1950er- und 60er Jahre nicht doch auch tristere Momente gehabt haben: Man sucht sie in der für Hunstein heimatlichen ‚Treppenstraße’ in Kassel, findet sie aber nicht. Obwohl Kassel gewöhnlich als regnerisch und kühl gilt, wirkt auf dieser Aufnahme alles spätsommerlich warm und bunt. Die Frauen tragen weiße und blaue Sommerkleider, eine andere einen leuchtend roten Rock. Farbmanipulationen fehlen. Auch wenn man es nicht glauben will: Kassel kann schön sein.
(ham)