Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, vom 10.10. – 15.11. 2009. Hg. von der NGBK, Berlin. Mit Texten von u.a. Sun-Ju Choi, You Jae Lee und Prof. Jie-Hyun Lim. Eigenverlag, Berlin, 2009, ISBN 978-3-938515-31-0, 216 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur, Format 29 x 21 cm, € 14,--
Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin widmete sich im Herbst 2009 einer besonders abseitigen Fragestellung: Der koreanischen Migration und der deutsch-koreanischen geteilten Geschichte. Doch ist der Betrachter willens, sich ein wenig einzulesen, können auch (und gerade) exotische Themen ungemein interessant werden.
Auf deutscher Seite führte die staatliche Konkurrenzsituation während des Kalten Krieges zu einem kuriosen Wettstreit: Die DDR entsandte Ingenieure zum Wiederaufbau einer kriegszerstörten Stadt in Nordkorea und importierte knapp 1000 Waisenkinder und Studenten, die nach erfolgreicher Ausbildung wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten. Die Bundesrepublik leistete wirtschaftlich- technische Entwicklungshilfe in Südkorea und warb Krankenschwestern und Bergarbeiter zur Weiterbildung in Deutschland an.
Dass ausgerechnet diese beiden Berufsgruppen umworben wurden war Zufall, sorgte aber für soziologisch interessante Nachwirkungen. Die wenigsten der männlichen Koreaner kamen aus dem Bergbau. Sie hatten einen hohen Bildungsgrad, stammten aus der städtischen Mittelschicht und waren harte körperliche Arbeit nicht gewohnt, was zu Konflikten mit den deutschen Kumpels führte.
Die Krankenschwestern dagegen waren in Deutschland unterfordert, da sie in Korea dem Arzt assistierten und die Patienten in Eigenverantwortung behandelten. Sie waren es nicht gewohnt, Arbeiten wie Waschen, Füttern und Putzen zu übernehmen. Dafür entwickelten sie eine starke gegenseitige Solidarität, als die deutsche Regierung die Arbeitsverträge nicht verlängern wollte und die Ausweisung drohte. Die Koreanerinnen politisierten und emanzipierten sich und es entstand in der Bundesrepublik ein dichtes Netz von Selbstorganisationen, ohne dass sich die Koreaner in der deutschen Gesellschaft isolierten. Im Gegenteil, sie integrierten sich weit besser als andere Migrationsgruppen.
Die Ingenieure der DDR verhielten sich im Norden wie die Axt im Walde. „Die Zusammenarbeit mit Koreanern wurde in den offiziellen Berichten überwiegend positiv beurteilt. Die Beziehungen waren in der Realität jedoch durch ostdeutsches Sendungsbewusstsein, das meist mit ‚Überheblichkeit‘ und ‚Diktieren‘ einherging, geprägt.“ Außerdem suchten viele Deutsche nur Abenteuer und Exotik, benahmen sich heftig daneben und mussten in der ersten Zeit oft nach spätestens einem halben Jahr ausgetauscht werden.
In Kombination mit historischen Dokumenten zu der Migrationsproblematik beleuchten die ausgestellten Kunstwerke die Durchsetzung der jeweiligen Ideologien in Süd- und Nordkorea und setzen sich mit dem Status der Teilung und der DMZ, der Entmilitarisierten Zone, auseinander. Auf der anderen Seite geht es um die seelischen Auswirkungen der Migration zwischen Sehnsüchten und Realitäten.
(Michael Reuter)