Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum
JRP|Ringier, Zürich, 2008, ISBN 978-3-03764-001-2, 224 Seiten mit 60 s/w-Abb., kartoniert, Format 23 x 16, € 20,--
Beim Symposium „Re-Vision des Displays“ Ende Juni 2007 in Zürich ging es im weitesten Sinn um die Inszenierung von Kunstausstellungen. Das Display fungiert als Schnittstelle zwischen Mensch und Ausstellung, als Teil eines Medienverbunds, der Bedeutung und Wissen, Normen und Werte produziert. Dabei lässt es sich nie ganz vermeiden, dass die Inszenierung, bewusst oder unbewusst, auch fragwürdige ideologische Konzepte transportiert.
So besteht der Kern der vorliegenden Anthologie in der Frage, wie sich ein Kurator an sein Ausstellungskonzept herantasten kann, ohne in die Falle unbewusster „Herrschaftsdiskurse“ zu stolpern, sei es die Unterrepräsentanz von Künstlerinnen, „das Problem der subtilen Manifestation überkommener Geschlechterrollen“ (R. Muttentahler), die Vorherrschaft westlicher Kunst oder die kritiklose Verwendung des White Cube, dessen ideologische Wirkung sehr anschaulich von Elena Filipovic beschrieben wird.
Der White Cube als neutraler Museumsraum mit weißen Wänden und gleichmäßiger Beleuchtung durch Oberlichter, ist eben alles andere als neutral. Er ist pure Ideologie und hat unsere Ansichten über Kunst und deren Präsentation stärker geprägt als die Kunstwerke selbst! Er konstituiert nicht nur unser Verhältnis zur Kunst, sondern formt auch einen bestimmten Typ von Betrachter – „wohlerzogen, ernst, entkörperlicht und in der Lage, sich mit ununterbrochenem Blick auf die Einzigartigkeit des Kunstwerks zu konzentrieren.“ (E. Filipovic)
Dorothee Richter beschreibt im Rückgriff auf Mary Anne Staniszewski drei normative Ausstellungstypen: die propagandistisch-emotionale Ausstellung, die nobilitierende Kunstausstellung und die pädagogisch-animierende Designausstellung. Eine vierte Kategorie bezeichnet sie als „selbstkritische“ Ausstellung.
Dieser vierten Kategorie dürften sich wohl alle beteiligten Kuratoren des Züricher Symposiums zugehörig fühlen. Sie alle sind in der Pflicht, sich den ideologischen Fallen zu stellen und versuchen, in einer selbstkritischen Ausstellungspraxis eine offene Lesart der Ausstellung zu ermöglichen, ohne sich dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen. So betont das Direktorenteam Iris Dressler und Hans D. Christ des Württembergischen Kunstvereins in einem Interview: „Bei aller Vermittlung ist und war es uns allerdings wichtig, diese offen und angreifbar zu halten. Für die Textdisplays bedeutet dies zum Beispiel, Interpretationen zu vermeiden und eher auf die Komplexität von Sachverhalten zu verweisen, als diese zu simplifizieren, im besten Falle also Fragen offen zu lassen oder gar zu provozieren. (…) Wir möchten die Besucher/innen nicht mit einer schlüssigen Botschaft überwältigen, sondern ihnen divergierende Leseweisen anbieten.“
Streng genommen wird das eigentliche Thema „Display“ in der Anthologie nicht richtig greifbar. Es bezeichnet alles und nichts und so sind die einzelnen Textbeiträge eher einer Sammlung kuratorischer und künstlerischer Positionen in Zeiten fortschreitender gesellschaftlicher Vereinzelung und Verunsicherung.
(Michael Reuter)