Klett-Cotta, Stuttgart, 2008, ISBN 978-3-608-94374-0, 240 Seiten, gebunden, 24 Farb- u. 23 s/w-Abbildungen, Format 23 x 16, € 24,90
Ausgehend von der These, dass sich die westliche Welt seit der Renaissance gerne in der Tradition römischen Lebens, Denkens und Handelns sieht, startet Stefan Ritter (*1959) seine humorig geschriebene Vergleichsstudie über römisches und zeitgenössisches Bildgut. Dabei bedient er sich antiker Statuen, Fresken und Reliefs sowie aus dem Fundus der heutigen Presse- und Werbefotografie. Dass er keine Werke der zeitgenössischen Kunst verwendet, begründet Ritter mit dem Umstand, dass antike Bildwerke ihren Platz mitten im gemeinschaftlichen Leben hatten und nicht als autonome Einzelwerke präsentiert wurden – ähnlich dem massenmedialen Auswurf unserer Tage, der „genauso wohlüberlegt, an den Seherfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit orientiert und zielgerichtet konstruiert wie antike Bildwerke“ sei.
Stefan Ritter, derzeit Direktor des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke München und Universitätsprofessor für Klassische Archäologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, geht es bei seinen Bildbesprechungen vor allem um die Einblicke in allgemein verbreitete Wertvorstellungen und die Frage, ob und wie sich der Mensch selbst, ungeachtet des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts, seit der Antike verändert hat und ob der heutige Mensch etwas aus den römischen Bildwelten mitnehmen kann, was ihm hilft, die Gegenwart besser zu verstehen.
Was folgt, sind jeweils zwei Bilder, die exemplarisch für ganze Themenblöcke gegeneinander gestellt werden. Die Mimik von Politikern wird anhand eines Porträtkopfes von Kaiser Vespasian und einer offiziellen Fotografie Silvio Berlusconis beleuchtet. Über die Machtkonstellationen in Familiendynastien gibt ein reliefierter Halbedelstein und ein Pressefoto des Bush-Clans Auskunft. Außerdem geht es um Familie und Partnerschaft, Arbeit und Freizeit, um das Fremde und natürlich um Frauen.
Die Detailfülle, die Ritter vor allem aus den antiken Bildnissen extrahiert, ist beeindruckend, und gibt einen unterhaltsamen Einblick in römische Denk- und Lebenswelten, ohne sich in wissenschaftlichen Details zu verlieren. Seine Ausführungen zu den heutigen Werbe- und Pressefotos wirken dagegen sehr subjektiv. Dass Saddam Hussein auf dem Weg in den Gerichtssaal „finster“ aussieht, kann der Rezensent nicht finden und dass ein Zeitungsredakteur immer nur die Fotos eines mutmaßlichen Mörders veröffentlichen möchte, auf denen die Person möglichst schuldbewusst oder böse erscheint, kann Ritter nur behaupten. Da er lediglich zu den antiken Werken weiterführende Literatur angibt, bleibt ungewiss, ob der Autor hier frei fabuliert oder sich auf Sekundärliteratur stützt.
Die wesentlichen Aussagen des Buches fasst Ritter im Kapitel „Wir und unsere Bilder“ zusammen. Sowohl die Römer als auch wir nutzen die Bilder, um uns über Normen und Wertvorstellungen zu verständigen. Die heutigen Bilder dienen überwiegend Werbezwecken und sind für den schnellen Ge- und Verbrauch bestimmt, während die Römer ihre Statuen und Grabreliefs nutzen, um Herrscher und Bürger in langfristiger Erinnerung zu behalten. Auffällige Unterschiede bestehen in der Behandlung von Themen wie Alter, Gewalt und Machtverhältnissen. Erstaunlich findet Ritter das visuelle Beharrungsvermögen eigentlich überkommener Themen: Ehe und Familie als Garant partnerschaftlichen Glücks, altertümliche Rollenmodelle zwischen Mann und Frau oder ein stereotypes Fremdenbild werden in den Medienbildern immer wieder heraufbeschworen. „Das Beharrungsvermögen der Bilder steht in krassem Gegensatz zu dem Umstand, dass sie ja, ganz anders als die römischen, gerade nicht auf Tradition, sondern auf ständige Neuerung setzten.“
(Michael Reuter)