Schriften zur Lebenskunst
Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1814, Frankfurt am Main 2007, € 13,--
In seinen letzten Jahren beschäftigte Michel Foucault die Frage, ob es eine Lebensform gibt, die nicht von traditionellen Wissensbeständen und Normen präformiert ist, sondern die das Leben als Kunst versteht, und zwar im experimentellen Sinne. Der Auswahlband beschäftigt sich mit dem Foucaultschen Verständnis der Lebenskunst. Versammelt werden kleinere Texte und Interviews, die erstmals in der Ausgabe der „Schriften in vier Bänden. Dits et Ècrits (2001-2005) erschienen sind; sie wurden in französischer Sprache bereits 1994 editiert. Die sehr schön zu lesenden Interviews spielen alltägliche Beobachtungen Foucaults und dessen Deutungen ein. In den kurzen Abhandlungen wie „Subjektivität und Wahrheit“ oder „Subjekt und Macht“ elementarisiert der Philosoph selbst seine Arbeiten und formuliert in gewisser Weise – stets weiter fragend – die Summe seiner Forschungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie ein Mensch zum Subjekt wird. Erst von dieser Frage aus, so Foucault, würden seine Analysen zum Verständnis von Macht richtig verstanden. In diesem Kontext stünden auch seine Arbeiten zur „Sorge um sich“ und den „Techniken des Selbst“. In diesen beschreibt er, wie Beziehungen zu sich selbst kulturell organisiert werden, wie der zu ihnen gehörende technische Apparat zu deuten ist und welche Auswirkungen beide auf die Entstehung von Wissen haben (vgl. 75). In einigen Beiträgen des Bandes wird die Bedeutung homosexueller Lebensweise für die Erfindung einer Kultur thematisiert, in der „alle erdenklichen Beziehungen bestehen können und nicht von den die Beziehungswelt verarmenden Institutionen behindert oder blockiert werden“ (117). Insofern steht die Rede von der Ästhetik der Existenz auch im Kontext der Foucaultschen Geschichte der Sexualität. Es ist die Eigenart des Foucaultschen Denkens, dass das Subjekt historisch gedacht wird und im Grunde der Name für das ist, was sich als Gegenstand eines spezifischen Ensembles von Wissen, Normen und Selbstpraktiken ergibt (vgl. auch das Nachwort von Martin Saar, 329). Wenn Foucault in dieser Arbeitsweise immer wieder auf antike Texte Bezug nimmt, dann geschieht dies allerdings keinesfalls dazu, dass er Beispiele und Modelle extrapoliert. Interessant sind die antiken Texte für ihn deshalb, weil in ihnen Praxisstrukturen zu finden sind, in denen sich in der Vergangenheit die Konstitution des Subjekts vollzogen hat. So ist die Ästhetik der Existenz keinesfalls ein Abschied von der Ethik. Foucault betreibt Ästhetik in der philosophischen Ethik. Die Texte, die in diesem Band versammelt sind, schrieb er vor ziemlich genau fünfundzwanzig Jahren. Ihre Bedeutung liegt für mich in seiner eindringlichen Frage nach den Praxen, die Subjektivität konstituieren. Das Leitwort von der Ästhetik der Existenz hat deshalb vor allem analytische Kraft. Er füllt es dekonstruktiv, und dennoch schreibt er gleichzeitig über die Kunst, Freundschaften zu leben.
(Ilona Nord)