Edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 295 S., € 12,--
Roger Silverstones Manifest erschien 1999 unter dem Titel „Why study the Media?“. Die Aufgabe, die der Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der London School of Economics sich damals stellte, ist immer noch relevant und dies liegt in der methodologischen Ausrichtung seines Beitrags: “Ich möchte zeigen, dass wir die Medien im Sinne Isaiah Berlins als Teil der ‚allgemeinen Erfahrungsstruktur’ erforschen müssen, eine Formulierung, die sich darauf bezieht, dass unser Leben eingebettet ist in die Welt, dass wir mit ihr verbunden sind durch Strukturen der Erfahrung, die wir als selbstverständlich voraussetzen, die aber gewährleistet sein müssen, wenn wir miteinander leben und kommunizieren wollen.“ (11f)
Medien werden von dem Soziologen als soziale Vermittlungsprozesse verstanden; seine Medienkritik versteht er auch als ein Engagement für die Medien. Die Voraussetzung für jede Form der medialen Vermittlung ist für Silverstone Vertrauen. Der Mediengebrauch verweist also auf ein gesellschaftliches Potential an Vertrauen. Zugleich werde sich aber auch vor der Technologie der Medien gefürchtet: „Unser Gebrauch der Maschine ist umgeben von folkloristischen Riten und Vorurteilen, die typisch sind für Gesellschaften, die Dinge beherrschen möchten, die sie nicht verstehen. Insofern ist Technologie Magie, und Medientechnologien sind tatsächlich Technologien der Verzauberung“ (50). Nach diesen hermeneutischen Vorklärungen wendet sich Silverstone in einem nächsten Kapitel Medienstrategien und Forschungsmethoden zu, die er unter die Stichwörter Rhetorik, Poetik und Erotik subsummiert. Das dritte Kapitel ist den Erfahrungsbereichen von Medien gewidmet. Spiel, Darstellung und Konsum sind hier seine Themen. Silverstone entfaltet z. B. mit Johan Huizinga und Roger Caillois, der dessen Spieltheorie kritisiert hat, und mit Donald Winnicotts Ansatz die kulturelle und entwicklungspsychologische Bedeutung des Spiels. Im Kontext des Themas Spiel wird dann bereits ausgegriffen auf die Bedeutung von Orten des Spiels z. B. im Internet, denen Silverstone im vierten Kapitel fokussiert auf Zuhause, Gemeinschaft und Welt nachgeht. Dieses sehr lesenswerte Kapitel konfrontiert z.B. mit der These, dass ohne die Medien ein Zuhause heute weder vorstellbar noch aufzubauen sei (173). Mit einem phänomenologisch geschulten Ansatz, in den er Gaston Bachelard und van Gennep aufnimmt, reflektiert Silverstone sowohl die Bedeutung des konkreten Zuhauses als auch den Mythos der ewigen Heimkehr, der seiner Ansicht nach vor allem über mediale Inszenierungen wirkt (186).
Silverstones Manifest ist ein engagierter Beitrag für mehr Medienkompetenz. Auch wenn es immer wieder nötig ist, die Macht der Medien zu kritisieren, so kann dies nur angemessen geschehen, wenn man sich mit der Konstruktion von Medien und ihrer integralen Bedeutung für die menschliche Kultur, für das gesellschaftliche Leben insgesamt auseinandersetzt. Selbstverständlich atmet der Text noch die Entwicklung der Medienkultur am Ende des vergangenen Jahrhunderts. Auch der Titel „Anatomie der Massenmedien“ zeigt dies an. Computer mediated Communication ist längst mehr und wesentlich diversifizierter zu verstehen als das, was medienhistorisch als Massenmedium zu verstehen ist. Doch der technologische Fortschritt hat die Bedeutung des Buches nicht überholt. Denn der im Jahre 2006 verstorbene Roger Silverstone arbeitet die Bedeutung der Medien anhand grundlegender soziologischer Topoi wie Erfahrung, Gemeinschaft, Vertrauen, Welt, Erinnerung, das Andere und mehr aus. Ein Buch, das grundsätzlich orientiert.
(Ilona Nord)