Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn-München-Wien-Zürich, Paderborn 2009, 405 Seiten, € 39,90
Vier Abschnitte thematisieren darin verschiedene Filmgenres (Western, Comicverfilmungen, Sportspielfilme, Komödien), porträtieren das Werk einzelner Regisseure (Stanley Kubrick, Ridley Scott, Guillermo del Toro, Luc Besson und Sam Raimi), untersuchen diverse Kinofiguren (Der ‚göttliche König’, die Rolle von Kindern, Darstellungen des Reformators Martin Luther, die Gestalt des Superhelden sowie des protestantischen Pfarrers und seiner Familie) und gehen zentralen Motiven (Familienbilder, Schuld und Sühne, Apokalypse, Auferstehung und Rezeptionen der Passionsgeschichte) im zeitgenössischen Hollywoodfilm nach. Anspruch auf Vollständigkeit wird nirgendwo erhoben. Dennoch gelingt es vielen Beiträgen, durch exemplarische Zugänge nicht nur das jeweilige Sujet zu entfalten, sondern immer wieder auch gesellschaftliche und ideologische Kontexte heutiger Filmindustrie herauszuarbeiten und theologisch zu beleuchten.
Eine knappe, diesem Hauptteil vorangestellte Einleitung gibt über Aufbau und editorisches Konzept des Handbuchs Auskunft: Ausgehend von der These, dass Religion in modernen Gesellschaften zwar tendenziell jenseits institutioneller Formen praktiziert wird, deshalb aber keineswegs verschwunden ist und man daher ‚auch der gegenwärtigen Filmkultur zumindest implizite Bezüge zum Religiösen nicht absprechen kann’ (9), werden vorzugsweise populäre Kinoerfolge zur Analyse herangezogen. Fiktionale Unterhaltungsfilme stehen im Zentrum, wesentliches Kriterium zur Beurteilung ihrer Qualität ist ihre Mehrdimensionalität: Gute Kinofilme bieten Raum für viele unterschiedliche, eben auch religiöse Deutungen; die „einzige Prämisse ist, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse durch den Film gedeckt und theoretisch möglich sind. Ob sie tatsächlich stimmen oder von den Machern so intendiert wurden, ist dabei eher sekundär. Ein Wahrheitskriterium im engeren Sinne steht hier schlichtweg nicht zur Verfügung. Die Frage ist letztlich also (...) ob eine theologische Deutung des Inhalts oder der Figuren für den Rezipienten – also subjekt-orientiert – bereichernd sein kann.“ (11f)
Anliegen der Herausgeber, allesamt katholisch-theologischer Provenienz und im Umfeld des Institutes für Theologie und Ethik an der Universität der Bundeswehr in München angesiedelt, ist überdies, Filmexperten aus möglichst vielen Bereichen kirchlicher Filmarbeit und -kritik zu versammeln. Neben Filmbeauftragten beider Konfessionen kommen Mitarbeitende einschlägiger Fachzeitschriften ebenso zu Wort wie theologische Lehrstuhlinhaber oder ‚Praktiker’ aus Erwachsenenbildung und Mediendiensten. Hieraus erklärt sich wohl teilweise der durchaus unterschiedliche Charakter der Beiträge, welcher von weitgehend unkommentierter Inhaltsangabe bis zur intensiven theologischen Durchdringung der Gehalte reicht.
Angesichts dieser starken Diversität leisten die umfangreichen Anhänge des Buches gute Dienste. Sie enthalten neben einem (beide Bände umfassenden) Register der besprochenen Filme und Regisseure bibliographische und filmographische Verzeichnisse, sowie Hinweise zu einschlägigen Internetadressen (allerdings auf den Themenbereich ‚Theologie/Kirche und Film/Kino’ beschränkt!) und zu den Autor/innen.
Das Etikett ‚Handbuch’ erhebt einen gewissen Anspruch auf umfassende Behandlung der wesentlichen Aspekte eines Themenbereichs. In diesem Fall greifen die den Einzelanalysen des ersten Bandes vorangestellte Einführung in die ‚Dramaturgie des populären Films’ und die dem Hauptteil dieses zweiten Bandes nachgestellten Überlegungen zum ‚Medium Film im Religionsunterricht’ (sehr treffend und sehr zu beherzigen: die ‚10 Gebote zum Einsatz von Filmen’, 322!) wichtige Fragestellungen auf. Manches Weitere wäre hier sicherlich denkbar und sinnvoll. Zwei Gesichtspunkte seien genannt: So werden Kinofilme im kirchlichen Kontext längst nicht mehr nur im Unterricht ‚eingesetzt’. Erhellend wäre meines Erachtens eine kleine ‚Phänomenologie der Filmrezeption im kirchlichen Kontext’, welche etwa auch die Bereiche der Erwachsenenbildung und der Liturgie (‚Filmgottesdienste’) in den Blick nimmt. Die im oben angeführten Zitat formulierte ‚subjekt-orientierte Rezipientenorientierung’ des editorischen Konzeptes legte es zudem nahe, auch einmal solchen Rezeptionsprozessen eingehender nachzugehen. Interessant wäre auch die Fragestellung, wie der kirchliche Kontext die Rezeption populärer Filme beeinflusst, wenn in der Tat ‚keine gesellschaftlich relevante Gruppe in Deutschland (...) über eine so hohe kulturelle Kompetenz in Sachen Film verfügen wie die beiden großen Konfessionen’ (so Bd.1,11)?
In jedem Fall erreicht die Lektüre der vorliegenden Beiträge ihr zentrales Ziel: Kinoproduktionen auf ihre religiöse Tiefendimensionen hin zu durchleuchten und damit schlicht Lust zu machen, Filmgeschichten mit neuen Augen zu sehen und in kirchlichen Zusammenhängen aufzugreifen. In der Gesamtschau der beiden jetzt vorliegenden Bände des Handbuches öffnet sich dem Leser/der Leserin eine Fülle von Aspekten und ein facettenreiches Panorama gegenwärtiger populärer Filmproduktion. Man darf gerade deshalb auf den noch ausstehenden, für das Jahr 2011 projektierten dritten und (vorläufig!) abschließenden Band neugierig sein, der neben weiterer Einzelanalysen und einem Porträt der kirchlichen Filmarbeit im deutschsprachigen Raum eine stärker systematisch-theologische Bearbeitung des Themengebietes in Aussicht stellt. Insbesondere darf man gespannt sein, wie darin die vor allem in der aktuellen praktisch-theologischen Debatte zwar breit rezipierte, aber nach wie vor strittig diskutierte Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Religiosität im Blick auf den Bereich des Kinofilmes bestimmt werden wird.
(Hans-Ulrich Gehring)