Suhrkamp Verlag TB Wissenschaft, Frankfurt am Main 2007, 378 S., € 14,--
Das Thema Lebenskunst hat Konjunktur, in der Philosophie, aber auch in der evangelischen Ethik oder in der Seelsorge wird sie diskutiert. Blickt man auf die besprochenen Bücher zu Michel Foucaults Ansatz, das Subjekt als Kunstwerk zu sehen, ist nun der hier vorzustellende Band eine Fortführung des Themas mit kritischen Mitteln: Mit der „Kritik der Lebenskunst“ haben die Herausgeber sich die Aufgabe gesetzt, „eine philosophisch angemessene Kritik der Lebenskunst im Sinne der Anspruchsüberprüfung und Grenzziehung vorzunehmen“. Der Kieler Praktische Philosoph Wolfgang Kersting und sein Mitarbeiter Claus Langbehn haben hierzu Autoren wie Dieter Henrich, Otfried Höffe, Martin Seel und Dieter Thomä gefunden. In einem ersten Kapitel werden antike Ursprünge und moderne Weiterführungen der Lebenskunst-Philosophie vorgetragen. Zweitens wird an das Erbe Kants zum Thema angeknüpft. Im dritten Kapitel geht es um Möglichkeiten und Grenzen von Selbstbestimmung. In einem letzten Kapitel werden Theorien zu Common Sense, Lebenskunst und Tugendethik miteinander in Diskussion gebracht. Den Epilog bildet Henrichs Beitrag zur „Sorge um sich oder Kunst des Lebens?“
Wolfgang Kerstings opulente Einleitung „Die Gegenwart der Lebenskunst“ (10-81) bietet zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Verständnis der Lebenskunst bei Friedrich Nietzsche, Michel Foucault, dann bei Wilhelm Schmid und abschließend bei Richard K. Sprenger u.a. Theoretikern aus der Welt der Unternehmensberatung. Es folgt ein Überblick über die einzelnen Beiträge des Bandes sowie die eigene Positionierung. Kersting kritisiert Michel Foucaults Konzept der Ästhetik der Existenz, Foucault sei am Subjektivismus der romantischen Ästhetik orientiert (vgl. 28). „Das Kreativitätsparadigma ist hermeneutisch verfehlt, um menschliches Leben zu begreifen. Der Mensch ist kein Demiurg seiner selbst. Eine Lebenskunst, die Leben als Selbsterschaffung begreift, ist Opfer einer undurchschaut-exaltierten Metaphorik geworden“ (31) An dem Verständnis von Lebenskunst bei Wilhelm Schmid kritisiert er, dass sie das lebenstechnische Pendant zur Soziologie der Individualisierung und reflektierten Moderne sei. „Sie will die postmoderne Nötigung als autonomieethische Chance benutzen und die Bastelexistenz des Dilettanten durch die reflektierte Lebenskompetenz des Könners ersetzen“ (47).
Dass Kersting Literatur aus der Unternehmensberatungskultur aufnimmt, ist m. E. ein interessanter Pfad, denn hiermit zeigt er selbst Interesse an alltagsrelevantem Philosophieren, leider bleibt aber der Eindruck, dass über die Hermeneutik des Verdachts nicht hinausgegangen wird. Die Lebenskunst scheint nur dazu zu dienen, die Verzweckung des Menschen durch die Ökonomie zu optimieren.
Ein Blick auf einige der weiteren Beiträge: Martin Seel knüpft an die Philosophie Immanuel Kants an und zeigt, dass in dessen Werk durchaus auf eine Lebensführungskompetenz zu schließen ist. Sie umfasse sowohl das Führen des Lebens wie das Durch-das-Leben-geführt-Werden. Dieter Thomä geht es um die Verbindung von Wissen und Können in den Konzepten von Lebenskunst. Thomä kritisiert die Lebenskunst nicht deshalb, weil es ihr am moralischen Ernst fehlt, wie es häufig heißt. Er weist darauf hin, dass sie das sozialtheoretische Potential, das die Ästhetik von sich aus mit sich führe, nicht ausschöpfe. Otfried Höffes Aufmerksamkeit gilt der Lebenskunst, die sich als Glücklehre versteht. Sie müsse sich über das Verhältnis von Glück und Tugend Rechenschaft ablegen. Höffe legt dar, dass die Erlangung von Glück im Gegensatz zum antiken Vorbild in der Lebenskunst-Diskussion nicht von Tugenden abhänge, sondern von der Verwirklichung möglichst großer Autonomie. Henrichs Epilog beschreibt die Grenzen der Lebenskunst, indem er sein Verständnis von Kunst, Leben und Sorge entfaltet. Er schließt nun, der Lebenskunstlehre fehle der nötige Ernst. Sie sei dem Leben nicht gewachsen (vgl. 370).
Die hier vorgelegte Kritik an der Lebenskunst weiß eine alltagstaugliche Philosophie zu schätzen, wehrt sich aber vor ihren weichgespülten Varianten.
(Ilona Nord)