Deutschsprachige Architekten, Stadtplaner und Bildhauer in der Türkei nach 1927
Gebr. Mann Verlag, Berlin, 2008, ISBN 978-3-7861-2587-7, 431 S., 380 s/w-Abbildungen, Hardcover, Format 28,5 x 21 cm, € 79,--
Es gab Zeiten, da war die Türkei mit Europa stärker verbunden als heutzutage – nicht wirtschaftlich, aber kulturell. Von 1927 an, nur wenige Jahre nach der Gründung der türkischen Republik, wurden auf Weisung von Kemal Atatürk und gemäß einem Gesetz zahlreiche ausländische Spezialisten in das Land geholt. Sie sollten die Modernisierung der Türkei vom islamischen Sultanat zu einer säkularen Demokratie unterstützen. Unter ihnen befanden sich vor allem Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, etwa der Kommunalwissenschaftler und spätere Berliner Bürgermeister Ernst Reuter, auch er ein Emigrant auf der Flucht vor den Nazis. Wie in den anderen jungen Republiken Finnland und Tschechoslowakei genoss in der Türkei die Architektur samt den angrenzenden Gebieten beim Aufbau des neuen Staates einen Vorrang.
So arbeiteten und lehrten dort prominente Architekten wie Bruno Taut, Margarete Schütte-Lihotzky, Clemens Holzmeister und Ernst Egli, die Stadtplaner Martin Wagner und Gustav Oelsner, der Kunsthistoriker Ernst Diez sowie der Bildhauer Rudolf Belling. Dieses spannende, bislang jedoch nur gelegentlich behandelte Kapitel eines Kulturtransfers aus Mitteleuropa in den Nahen Osten hat nun die Historikerin Burcu Dogramaci für die Jahre 1927 bis 1954 grundlegend untersucht. Ihr umfassendes Werk über das Wirken und die eminente Nachwirkung der deutschsprachigen Experten überzeugt zum einen durch seine anschauliche Darstellung, zum anderen durch die Fülle der begleitenden Abbildungen. Zu den vielen Themen gehören die Verdrängung osmanischer Baumeister und die Akademisierung der Ausbildung zum Architekten wie auch der Aufstieg des Österreichers Clemens Holzmeister zum „Staatskünstler“ der Türkei. Die Ausländer führten aber nicht nur das moderne Bauen ein, sondern setzten sich auch im Sinne einer Regionalisierung der Moderne mit dem traditionellen „türkischen Haus“ auseinander, wodurch es zu wechselseitigen Einflüssen kam. Schwerpunkte der Bautätigkeit waren Universitäten und Dorfschulen, doch an erster Stelle stand der Aufbau der Hauptstadt Ankara mit dem großen Parlamentsgebäude. Die Autorin verschweigt aber auch nicht die „patriotische“ Gegenbewegung, von der die Ausländer als „Feindbilder“ betrachtet wurden.
(Wolfgang Jean Stock)