punctum 22, Abhandlungen aus Kunst und Kultur
scaneg Verlag München, 2009, ISBN 978-3-89235-122-1, 218 S., 8 s/w-Abb., € 17,--
Leonardo da Vincis Abendmahl ist eine der bekanntesten Kunstschöpfungen abendländischer Malerei. Zugleich ist es neben der Mona Lisa, Michelangelos „Erschaffung Adams“ und vielleicht zwei, drei weiteren Werken das am meisten kopierte, zitierte, verfremdete und auch verlästerte. Die Literatur über dieses Kunstwerk und seine Rezeption ist selbst für Experten unüberschaubar geworden. So mag es belanglos erscheinen, ob der Markt einen Titel mehr ausweist. Geschenkt: die von Eichholz herausgegebenen Briefe sind etwas für Liebhaber, für „Narren“ – so wie er, Eichholz, selbst ein „Narr“ in Sachen Leonardos Abendmahl war und alle es sind, die Eichholz als Briefpartner in diesem Büchlein versammelt hat: vernarrt eben in dieses Kunstwerk und seine Wirkungsgeschichte.
Im Jahr 1998 erschien im gleichen Verlag die opulente Monografie von Georg Eichholz „Das Abendmahl Leonardo da Vincis – eine systematische Bildmonographie“ (720 S.!). Es stellt die Frucht einer rund fünfzehnjährigen Beschäftigung mit dem Werk Leonardos dar, die der niederrheinische Pastor (Jahrgang 1943) neben seiner Gemeindearbeit entfaltete. Gegen Ende seines mit vorzeitigem Ruhestand beschlossenen aktiven Dienstes im Pfarramt trat er mit einer Reihe von Kunsthistorikern und Kunstfreunden in brieflichen Kontakt über die gemeinsame Leidenschaft. Einige der Briefwechsel sind nun hier postum veröffentlicht. Eichholz verstarb im August 2008. Die zu edierenden Briefe wurden noch von ihm selbst für die Veröffentlichung vorbereitet, doch den Abschluss ihrer Edition konnte er nicht mehr besorgen. Diesem Umstand muss man es zurechnen, dass die Herausgabe der Briefe fragmentarisch, bisweilen etwas ungeordnet und weitgehend unkommentiert blieb. Streichungen unwichtiger Nebensächlichkeiten, dafür aber die Wiedergabe anderer Kommunikationsinhalte, die man vermisst, hätten der Ausgabe ebenso gut getan wie überleitende oder einführende Passagen. So wird der Leser jedoch etwas allein gelassen und tut sich mit manchen Zusammenhängen schwer.
Vielleicht ist es gut, man beginnt die Lektüre hinten, im Anhang 2. Dort findet man Georg Eichholz’ Aufsatz „Das Mailänder Abendmahl – Bewältigung eines Traumas?“ Er sollte – so Eichholz selbst – „für den dicken Wälzer einen leichter zu erfassenden ‚Schlüssel’ (nachliefern)“ (S. 63). Dies gelingt in der Tat und man versteht auch auf Anhieb, welche Probleme die korrespondierenden Kunsthistoriker mit Eichholz’ Interpretation haben. So z.B. Frank Zöllner, Leipzig, in dessen Antwortschreiben auf einen Brief von Eichholz er zu dessen Interpretationsversuch über die Einteilung in „naturwissenschaftliche“ und „künstlerische“ Zeichnungen Leonardos sagt: „Ich kann mich damit nicht so recht anfreunden, was vor allem daran liegt, dass mein Interesse immer, bei Leonardo ebenso wie bei anderen Künstlern, dem Inhalt von Bildern galt und gilt.“ (S. 136) Ganz entsprechend äußert sich der anthroposophisch orientierte Kunstwissenschaftler Michael Ladwein über Eichholz’ Versuch, die geflügelte Sonnenscheibe aus Ägypten zur formalen Erschließung von Leonardos Abendmahlsbild heranzuziehen: „Da ist doch etwas von wo ganz anders hergeholt und auf das Bild regelrecht projiziert ... ein hübscher, für mich eher ‚literarischer’ Gedanke ..., aber wenn wirklich als ernsthafte Erklärung gemeint, mir doch, Pardon, allzu sophisticated.“ (S. 143f)
Beide Briefwechsel, mit Zöllner und Ladwein, beschränken sich übrigens auf nur eine Anfrage seitens Eichholz’ plus Antwort. Anders der in zwei Sprachen (Eichholz in Deutsch, Steinberg in Englisch) wiedergegebene Briefwechsel mit dem New Yorker Kunstprofessor Leo Steinberg, der sich – mit längeren Pausen – zwischen Dezember 2001 und März 2006 entspann und zum Gewichtigsten zählen darf, was die Edition aufbietet. Steinberg, vom Lebensalter Anfang 80, signalisiert Eichholz zwar mehrfach, angesichts seines hohen Alters und gewisser Ermüdungserscheinungen von Fortsetzungen des Dialogs abzulassen, doch Eichholz hält sein Gegenüber fest wie Jakob am Jabbok den Engel, um am Ende den Segen des großen Kunstkenners für seine eigene Leonardo-Deutung zu erringen – doch der bleibt aus. Steinberg quittiert die Korrespondenz mit einem gewissen „Wohlwollen“. Was dazwischen liegt, liest sich als vergnügliche Studie eines Gesprächs zwischen Meister und Schüler, bei dem sich der Meister sokratisch und ironisch zurücknimmt, bis der Schüler seinen wahren eigenen Standort und den des Meisters erkannt hat. Eine klärende Breitseite vom 7. Juni 2005 stellt die Verhältnisse aus Steinbergs Sicht klar, was dann den erneuten Austausch beider gestattet. Der Auslöser für Steinbergs bitterböse Antwort ist leicht zu sehen: Eichholz hatte ihm seinen o.g. Aufsatz zukommen lassen und ihn um einen Ratschlag bezüglich der Veröffentlichung gebeten. Für diesen Text hat Steinberg jedoch nur ein müdes Lächeln übrig. Eichholz, der permanent mit neuen Anregungen aufwartet, die er assoziativ aus Kunst-, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte aufgreift, geht dem New Yorker Kunstwissenschaftler einfach zu fremdbestimmt an seine Sache heran. Dieser hingegen hält sich streng an die Regeln der formalen Bildinterpretation und versucht, Leonardos Abendmahlsbild nicht auf der Basis dessen zu deuten, was andere darüber meinen und sagen, sondern was er selbst sieht (sein Ziel war stets, „making people see with their eyes rather than read what they’re told to see“, S. 47). Der Kern der Auseinandersetzung dreht sich um Eichholz’ Behauptung, Leonardo habe eine rein menschliche, historisch abbildbare Begebenheit aus den Evangelien (darin dem Johannesevangelium besonders nahe) eingefangen, nämlich die Verräterbezeichnung Jesu gegenüber Judas, und enthalte sich jeder Gestaltung des Abendmahls im Sinne einer sakramentalen Handlung. Leonardo sei damit ein typischer Vertreter der Renaissance und habe – gleichwohl ein persönliches Trauma bearbeitend – damit das Lebensgefühl einer ganzen Epoche erfasst. Steinbergs Ambiguitätsthese hingegen will den Blick auf den Doppelsinn in Leonardos Bild öffnen, demzufolge sich alles, bis hinein in die Gestik im Bezugssinn der menschlichen Verratsszene wie auch im Bezugssinn der göttlich-eucharistischen Mitteilung Christi lesen lasse. Er zerpflückt daneben Eichholz’ Renaissance-Verständnis und straft dessen psychologisch-biografische Deutung Leonardos mit Missachtung.
Am deutlichsten wird der Zugang, den Eichholz für Leonardos Abendmahlsbild wählt, aber im Verlauf des Briefwechsels mit seinem Pfarrkollegen Martin Bregenzer, der selbst über eine umfangreiche Sammlung von Varianten und Verfremdungen des Mailänder Originals verfügt und diese bereits mehrfach ausgestellt hat. Die Korrespondenz dreht sich u.a. um die erstaunliche Wirkungsgeschichte des Bildes (im Anhang sind auch zwei lesenwerte Kurztexte Bregenzers zu diesem Thema beigegeben), die zugleich eine Geschichte permanenten Übermalens und Weitermalens des von Leonardo „asecco“ auf den Putz gebrachten und daher schon zu seinen Lebzeiten restaurierungsbedürftigen Gemäldes ist. Dabei gehen zahlreiche Projektionen der Interpreten mit ein – bewusst oder unbewusst. Bregenzer resümiert, „dass alle Variationen, die ich gesammelt habe, letztlich solche Projektionen sind. Die Vielschichtigkeit des Bildes fordert sie geradezu heraus.“ (S. 117) Auch Eichholz’ Interpretation stellt – vor allem anhand der Quellen und Mittel, die er hierfür immer neu an Leonardos Bild heranträgt – eine solche permanente Übermalung des Mailänder Abendmahls dar. Das ist rezeptionsästhetisch legitim und interessant, sollte sich dann jedoch auch des Gestus’, so auf Leonardos ureigene Intention und seinen zeitgenössischen Horizont zugreifen zu wollen, enthalten.
Übrigens: Jüngere Entdeckungen der Kunsthistoriker zeigen, dass es zwischen Leonardos Mailänder Abendmahl und seiner Mona Lisa wohl noch mehr Parallelen gibt als nur die populäre Wirkungsgeschichte – doch wen füttert es?
(Peter Haigis)