Anton Grabner-Haider (Herausgeber)
Kulturgeschichte der Bibel
Vandenhoeck [&] Ruprecht, Göttingen, 2007, ISBN 978-3-525-57309-9, 487 S., Hardcover gebunden, Format 23,7 x 16,3 cm, € 39,80
Für Martin Luther interpretieren sich die Schriften der Bibel selber. Die historisch-kritischen Bibelwissenschaften untersuchen sie auf ihre in der schriftlichen Überlieferung noch erkennbaren mündlichen Traditionen, ihre Einheitlichkeit und Widersprüche, ihre literarischen Formen und ihre Bezüge zur jeweiligen Umwelt. Anton Grabner-Haider betrachtet die Bibel vor allem „unter den Aspekten der Kulturgeschichte und der Kulturanthropologie … Sie wird als Spiegelung von konkreten Lebenswelten und Kulturstufen verstanden, dabei wird auf die verschiedenen Kulturformen, auf soziale Schichtungen, das Verhältnis der Geschlechter, die Formen der Herrschaft, die Verteilung der Rollen, die Kulturtechniken, die Formen der Weltdeutung und der moralischen Orientierung geachtet. Die Sprache der Religion wird als komplexe Symbolsprache verstanden, die auf vielfältige Weise das Erleben des Unverfügbaren zum Ausdruck bringt“ (Anton Grabner-Haider). Weltdeutungen der jüdischen und griechischen Kultur, die in die biblischen Bücher eingeflossen sind, kommen ebenso zur Sprache wie die Spuren der ägyptischen, babylonischen, persischen, kanaanäischen und römischen Kultur. So wird der von Mose überlieferte Glaube an den einen Gott der Väter, der Israel aus Ägypten herausgeführt hat (2. Mose 20, 2), in der Linie von Jan Assmann im Lichte des von Pharao Amenophis IV. Achanjati (früher als „Echnaton“ gelesen ) vertretenen Monotheismus angesiedelt.
Dem Mythos von Kain und Abel, der in der Bibel der Hebräer mit der Ermordung des Viehzüchters Kain durch den Ackerbauern Abel und dem Kainsmal auf dessen Stirn endet (1. Mose 4, 1-15), wird der Mythos von dem Hirten Dumuzi und dem Ackerbauer Enkidu gegenüber gestellt, die sich um die Liebe zur Göttin Inanna streiten. Der Sonnengott ersucht seine göttliche Schwester, den Hirten zu heiraten, denn der habe gute Milch und reichlich Rahm. Doch die Göttin wehrt sich gegen dieses Ansinnen. Nun zählt der Hirte alle seine Vorzüge auf, denn er weiß sich dem Ackerbauer überlegen. Nun neigt sich das Herz der Göttin dem Hirten zu; der Ackerbauer akzeptiert ihre freie Entscheidung. Er kämpft nicht mehr länger mit dem Hirten, sondern versöhnt sich mit ihm und bietet ihm die Ränder seiner Felder als Weideland für die Tiere und das Wasser aus seinen Bewässerungskanälen zum Trinken an. Ein möglicher Einfluss verschiedener Elemente des Zoroastrismus auf die Engellehre, die Dämonologie, Apokalyptik, Eschatologie, die Hoffnung auf Auferstehung und auf einen Erlöser im Judentum wird kontrovers diskutiert. Dieser Einfluss ist zumindest für die hellenistisch-römische Periode des palästinensischen Judentums in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Ch. wahrscheinlich. Schwieriger nachzuweisen ist die Möglichkeit einer Beeinflussung der jüdischen Theologie durch zoroastrische Vorstellungen seit der Achämenidenzeit ab der Mitte des 6. Jh. v. Chr.
In postmodernen Kontexten steht für Grabner-Haider die Weiterentwicklung der Hermeneutik zur kulturanthropologischen Hermeneutik an. Das letzte Kapitel des Bandes fasst folgende Gesichtspunkte zusammen: Die anzustrebende kulturanthropologische Hermeneutik muss sich für Grabner-Haider auf das heutige naturwissenschaftliche Weltbild einlassen und sie kann es auch, wenn sie von einem im Kosmos waltenden anthropischen Prinzip ausgeht. Sie wird die patriarchalen Gottesbilder und Gotteslehren dekonstruieren und gleichwertig auf beide Geschlechter beziehen. Vergleichbares gilt für die Sprache der Gewalt, die sich durch die ganze Bibel zieht. Die Öffnung für fremde Kulturen wird als Bereicherung für die eigene religiöse Identität erfahrbar. Schließlich ist es in der angestrebten kulturanthropologischen Hermeneutik auch erlaubt und gefordert, die Haupttexte der Bibel kreativ weiter zu denken. „Selektion und kreatives Weiterdenken gehören zu den Grundformen der jüdischen und der christlichen Glaubensweitergabe. … Die ganze Glaubensgeschichte ist ein Ausdruck dieses Selektionsprozesses, der immer von konkreten Lebenswelten abhängig ist.“ (Anton Grabner-Haider). Und letztens wird die Hermeneutik der Bibel wie im Gespräch der drei monotheistischen Religionen untereinander so auch im Dialog mit den alten Kulturen Indiens, Chinas, Japans und Afrikas entwickelt und natürlich auch im Wissen um die Erkenntnisse der Humanwissenschaften. Für Grabner-Haider vermindert sich mit dem kulturwissenschaftlichen Blick der normative Anspruch der Bibel in keiner Weise. „Vielmehr wird dadurch der Blick frei für Entstehungszusammenhänge und Wirkungsgeschichten, für fremde Kulturen und für die nötige Transformation der nicht mehr akzeptablen Inhalte“ (Anton Grabner-Haider).
(ham)